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Schlagwort-Archiv: NSA

Datenschutz durch Anonymität?

08 Sonntag Dez 2013

Posted by pnitsch1960 in Uncategorized

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Anonymität, Ausforschung, Überwachung, Datenschutz, NSA, Vorratsdatenspeicherung

Wenn man die Medien des letzten halben Jahres verfolgt, fällt einem eine Ambivalenz der staatskritischen Datenschutz- bzw. Überwachungsfurcht-Debatte auf: einerseits fürchten sich viele Internetaffine vor dem Staat, der sie überwache, Vorratsdatenspeicherung betreibe und bald zu einem totalitären Scheusal mutieren und mit den gespeicherten Daten und Profilen seiner Bürger üble Dinge anfangen werde. Andererseits ist Vater Staat Adressat zahlreicher (enttäuschter) Erwartungen: er soll die datensüchtigen Wirtschaftsunternehmen an die Leine legen, ihnen das Auswerten der Kundendaten abgewöhnen und die US-Amerikaner unter dem gefürchteten Friedensnobelpreisträger von 2009 Barack Obama davon abbringen, alle Nicht-US-Amerikaner als potentielle Feinde abzuhören.

Der Datenschutz, wie ihn die Deutschen verstehen, stammt gedanklich aus den 1970er/1980er Jahren, wurde anhand der Beispiele Radikalenerlass und Volkszählung entwickelt und vom Bundesverfassungsgericht ins Grundgesetz hineingedeutet. In jener Zeit stampften IBM-Großrechner wie Saurier durch die EDV Urlandschaft und dachte der erschreckte Gesetzgeber, wenn der Umgang des Staates mit personenbezogenen Daten gefährlich ist, dann machen wir das, was das Verwaltungsrecht bei Gefahrenlagen häufiger tut: schaffen wir ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.

Das gibt es zum Beispiel beim Autofahren: das ist grundsätzlich verboten, solange der Staat nicht das Auto „zugelassen“ (man also nicht ein amtliches Nummernschild drangeschraubt und der TÜV die technische Sicherheit bescheinigt) und der Fahrer eine Führerscheinprüfung bestanden hat, in der er die Kenntnis der Verkehrsregeln und seine (überwiegend unterstellte) charakterliche Eignung fürs Autofahren nachweist. Analog sagte der Gesetzgeber der Datenschutzgesetze, der erst einmal nur die Verwaltung als Verbotsadressaten vor Augen hatte, das „gefährliche“ Speichern und Weitergeben personenbezogener Daten ist verboten, sofern nicht der Betroffene eingewilligt hat oder es für die Datenverarbeitung eine gesetzliche Grundlage gibt.

Diese Prämisse hat schon seinerzeit nicht so recht funktioniert, denn man musste die Medien von der Geltung der Datenschutzgesetze ausnehmen, da sie ja eigentlich andauernd personenbezogene Daten von Dritten weitererzählen (das „Medienprivileg“). Und mit der später folgenden zweimaligen Verschiebung des Schwergewichts der Datenverarbeitung, von der staatlichen Verwaltung hin zur kapitalistischen Privatwirtschaft und dann zu fremden Geheimdiensten, die Ausländer generell als Ausforschungsobjekte ansehen, hat der seinerzeitige Gesetzgeber nicht gerechnet. Und auch nicht damit, dass die technische Entwicklung vom Großrechner hin zum internetfähigen Smartphone den Umgang mit personenbezogenen Daten zu einer banalen Alltagserscheinung machen würde.

Im Ergebnis sehen die Datenschutzgesetze von Bund und Ländern und damit der Datenschutz insgesamt mit seinem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt jetzt alt aus. Und die, die sich vor Überwachung fürchten, möchten sich nicht mehr auf das nicht durchzuhaltende und mit zahllosen Ausnahmen durchlöcherte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt verlassen. Sie würden stattdessen lieber von vornherein anonym bleiben. Doch die Rechtsordnung hat ein Problem mit Anonymität. Geht sie doch von dem Leitbild aus, dass sich Bürger und Staat mit offenem Visier und offengelegter Identität gegenübertreten. Man kann bei Zivilrechtstreitigkeiten nicht jemanden vor Gericht verklagen, den man nicht benennen kann und der keine postalische Adresse hat. Die Verwaltung kann keinen Verwaltungsakt gegen anonyme Adressaten erlassen und diese sich nicht vor einem Verwaltungsgericht gegen einen Bescheid wehren, ohne ihre Identität offen zu legen.

Dass die Rechtsordnung ein Problem mit Anonymität hat, zeigt sich an mehreren Stellen: So ziemlich jeder Straftäter legt Wert auf Anonymität und polizeiliche Ermittlungsarbeit besteht zu einem großen Teil darin, die Identität des Täters herauszufinden. Ein anderes Beispiel: Beantragt in Deutschland ein Zuwanderer Asyl, trifft er auf eine geschichtlich begründete Unterscheidung des Grundgesetzes. Als Asylbewerber wird nur anerkannt, wer „politisch“ verfolgt ist. Will einer „nur“ Armut, Chaos und Hoffnungslosigkeit in seinem Heimatsland entfliehen und sich ein besseres Leben anderswo suchen, bringt ihm die Angabe, wer er ist und wie er nach Deutschland kam die Abschiebung in das EU-Mitgliedsland, das er zuerst betreten hat (und damit für sein Asylverfahren zuständig ist) oder die Rückführung in sein Herkunftsland, aus dem er gerade weg wollte. Ein Zuwanderer, der seine Anerkennung als Asylbewerber betreiben will, lernt mithin als Erstes, seine Ausweispapiere wegzuwerfen und die Spuren seiner Einreise zu verwischen. Er ist am besten Herr oder Frau Niemand aus Nirgendwo und in Deutschland vom Himmel gefallen oder mit dem Schlauchboot an der Küste gelandet.

Letztes Beispiel: Schaffen Verwaltungsreformer ein Informationsfreiheitsgesetz (IFG) um Transparenz zu fördern, dann neigen sie leicht dazu, auf alteingeführte Regelungsmodelle zurückzugreifen. Und lassen IFG-Anträge per Verwaltungsakt bescheiden, die vor Verwaltungsgerichten angefochten werden können. Damit haben sie ein Regelungssystem gewählt, das sich mit Anonymität nicht verträgt: wer vor Gericht klagen will muss sich identifizieren. Und ein Gesetzgeber, der IFG-Anträge mit Verwaltungsakten bescheiden lässt, beantwortet eine Mücke (das Interesse, Verwaltungsakten einzusehen) mit einem Elefanten (d.h. Verwaltungsverfahren und einem verwaltungsgerichtlichen Prozess) und stürzt die Verwaltung in das Problem, dass jedermann beliebig viele IFG-Anträge stellen kann, die dann mit begrenzten Verwaltungsressourcen als Einzelfälle aufwendig bearbeitet werden müssen und die funktionsnotwendige Konzentration der Verwaltung auf das Wesentliche stören.

Sagt also jemand, der etwas vom Staat möchte, er wolle aber anonym bleiben, weil er sich so sehr (z.B. vor der NSA) fürchte, vermutet die Verwaltung fast automatisch, dass er schlechte Motive dafür hat. Der Gesetzgeber sieht Anonymität eben noch nicht als zeitgemäßes Mittel für das Erreichen von Datenschutz. Würde er Anonymität als anzuerkennende Handlungsmöglichkeit akzeptieren, müsste er Gesetze anpassen und statt individuellem Rechtsschutz durch Verwaltungsakt und Gericht „objektive“ Verfahren erfinden, z.B. anonyme Antragstellung und die Veröffentlichung des Ergebnisses im Internet. Für Streitfälle müsste er dann auch ein anderes Verfahren erfinden, beispielsweise, dass ein institutioneller Interessenvertreter wie der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit das Anliegen des anonym bleibenden Antragstellers „adoptiert“ und ihn verfahrensmäßig von Amts wegen vertritt.

Anonymität ist dabei kein Wert an sich, sondern nur ein (eher schlechtes) Hilfsmittel. Dort wo es um den Ausgleich widerstreitender Interessen geht, wo also beispielsweise vor Gerichten Zivilrechtstreitigkeiten ausgefochten werden, wo technische Probleme behoben oder Straftaten verfolgt werden müssen, da muss Anonymität auch wieder durchbrochen werden können, um Störer, Verursacher oder Straftäter nachträglich ermitteln zu können. Wo das Interesse Betroffener oder der Allgemeinheit das Interesse an Anonymität überwiegt, ist nur relative, im begründeten Bedarfsfall nachträglich aufhebbare Anonymität möglich. Was die von manchen als rotes Tuch betrachtete „Vorratsdatenspeicherung“ voraussetzt. Mehr Anonymität für alle geht nur, wenn bei Problemen, Missbrauch oder Straftaten die Anonymität bei wenigen nachträglich aufgehoben werden kann. Wer sich auch davor zu sehr fürchtet, der ist nicht kompromissfähig.

Wenn „Datensparsamkeit“ ein Mittel ist, um der zunehmenden (Selbst-) Protokollierung aller Lebensäußerungen entgegenzuwirken, dann ist Anonymität vielleicht die stärkste Form solcher Sparsamkeit und ein zeitgemäßes Mittel um Datenschutz umzusetzen. Denn was anonym und ohne Angabe einer bürgerlichen Identität möglich ist, das kann auch nicht gespeichert und missbraucht werden. Weder von einem misstrauisch beäugten deutschen Staat und seiner Verwaltung, noch von der aus Erwerbsinteresse neugierigen Privatwirtschaft, noch von eventuellen paranoischen ausländischen Geheimdiensten.

Warum der Mehrheit „Vorratsdatenspeicherung“ gleichgültig ist

27 Mittwoch Nov 2013

Posted by pnitsch1960 in Uncategorized

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Schlagwörter

Überwachung, Datenschutz, NSA, Piraten, Vorratsdatenspeicherung

Immer wenn mir der Polizeipräsident von Berlin schreibt und mich zum Überweisen eines Bußgeldes an die Staatskasse wegen zu schnellen Fahrens auffordert, finde auch ich „Vorratsdatenspeicherung“ ziemlich lästig. Beispielsweise das Anschrauben von Nummernschildern an Autos, bevor man noch überhaupt mit ihnen losgefahren ist. Also noch zu einem Zeitpunkt, an dem man keinerlei Verkehrsverstoßes verdächtig sein kann. Unerhört. Wie kann man nur so wenig Vertrauen zu mir als Verkehrsteilnehmer haben?

Die restliche Zeit ist mir das Nummernschild am Auto ziemlich egal. Auch wenn es bedauerlich wenig Vertrauen in die Menschen zum Ausdruck bringt, weil es unverdächtige Halter von Fahrzeugen im Straßenverkehr identifizierbar macht. Es reagiert auf die Tatsache, dass es bei Unfällen hilfreich ist, wenn man Unfallbeteiligte, die möglicherweise keine Lust zum Anhalten hatten, über das den Fahrzeughalter ausweisende Nummernschild finden kann, das sich dazu nur jemand merken und aufschreiben muss.

Ich weiß, es gibt auch andere Regelungsmodelle, beispielsweise bei Fahrrädern, die am Verkehr teilnehmen und _kein_ Nummernschild haben. Deshalb sind Fahrradfahrer häufig auch großzügiger in der Auslegung von Verkehrsregeln, beispielsweise wenn es darum geht an einer roten Verkehrsampel anzuhalten. Solange es nicht zu einem Unfall kommt und man sich verletzungsbedingt als Fahrradfahrer nicht mehr aus dem Staub machen kann, hat ein großzügiges Überfahren roter Ampeln für Fahrradfahrer keine Auswirkungen. Erkennt einen doch eh‘ keiner wieder.

Mithin ist „Vorratsdatenspeicherung“ im Alltag ein ziemlich gewöhnlicher Vorgang. Wenn sich ein Nachbar merkt, wann er einen auf der Straße gesehen hat, und sich das aus irgendeinem Grund aufschreibt, ist das auch „Vorratsdatenspeicherung“. Und wenn die Freundin sich in ihr Tagebuch schreibt, was man gestern gesagt hat, auch. „Vorratsdatenspeicherung“ heißt nicht, dass eine Information _beim Staat_ vorgehalten wird. Der wird nur, wenn etwas vorgefallen ist, das Anlass dazu gibt, bei allen möglichen Leuten herumfragen, ob jemand etwas (anhand seiner „Vorratsdatenspeicherung“) weiß oder sich noch an etwas erinnert, das dabei helfen könnte den zu identifizieren, mit dem man sich gerne näher unterhalten möchte.

Wenn der Satz richtig ist, dass das, was im normalen („analogen“) Leben gilt, auch im digitalen Leben gelten soll, dann ist damit „Vorratsdatenspeicherung“ auch bei der Nutzung digitaler Kommunikationswege ebenso üblich wie notwendig. Wenn jemand etwas bei Amazon übers Internet bestellt, wüsste Amazon gerne die wirkliche Identität und Postanschrift des Bestellers. Und hätte gerne bei ständigen (Scherz-?) Bestellungen eines Anonymus gewusst, wer eigentlich der temporärer Nutzer der Internet Protokolladresse gewesen ist, von der aus die Bestellung getätigt wurde. Das weiß der Internet Zugangsprovider (wie z.B. die Telekom, Arcor, Vodafone oder wer auch immer), dem das IP-Adressen-Kontingent gehört und der die einzelnen IP-Nummern seinen sich bei ihm einwählenden Vertragskunden zur zeitlich begrenzten Nutzung ausleiht. Das Protokoll, in dem er sich merkt, wer wann mit welcher IP-Adresse gesurft ist, ist private „Vorratsdatenspeicherung“. Früher brauchte man sie zur Abrechnung der Nutzung, heute braucht man sie bei den immer häufigeren Flatrate Verträgen, bei denen die Nutzungsdauer keine Rolle mehr spielt, nur noch bei technischen Problemen oder Missbrauch.

Auf die „Vorratsdatenspeicherung“ des Internet Zugangsproviders zurückgreifen möchten auch diejenigen, die von anonymen Surfern im Internet beleidigt, verleumdet, an den Pranger gestellt oder betrogen wurden. Notfalls, indem sie den Täter bei der Polizei anzeigen und diese den Internet Zugangsprovider auf der Basis strafprozessualer Eingriffsbefugnisse fragt. Darauf muss der dann, auf der Basis seiner Nutzungsprotokolle (also seiner „Vorratsdatenspeicherung“) antworten und der Polizei die Identität seines Vertragskunden angeben. Gegebenenfalls kann man dann bei diesem weitere Erkundigungen anstellen, wer denn zu einem bestimmten Tag und Zeitpunkt den Internetanschluss zu problematischen Aktivitäten benutzt hat.

Nun gibt es Personenkreise, die darauf Wert legen, das Internet anonym nutzen zu können und diese anonyme Nutzungsmöglichkeit für ein Grundrecht halten. Sie bringen wenig Verständnis für das Interesse von Allgemeinheit und Opfern auf, im Problem- oder Missbrauchsfall den Verursacher, Störer oder Straftäter notfalls über die IP-Nummer des benutzten Internetanschlusses ermitteln zu können. Und berufen sich gerne auf die angebliche Gefahr, dass über sie ein Profil angelegt werde, anhand dessen anonyme Mächte alles über sie wüssten. Diese Furcht vor Ausforschung bezog sich früher auf den Staat, in Anlehnung an die depressive Ohnmachtsphantasie des Buches „1984“ von George Orwell, heute stehen eher die großen marktmächtigen Internetkonzerne wie Google, Facebook, Apple usw. im Verdacht, die Daten argloser Internetsurfer für so furchtbare Dinge wie an mutmaßliche Interessen angepasste Werbung zu verwenden. Nur zur Erinnerung, in „1984“ folgte auf die Ausforschung und Überwachung durch einen totalitären Staat Folter und Mord, heute geht es um Marktforschung und Kundengewinnung werbender Unternehmen.

Im letzten halben Jahr entkommt kein Mediennutzer in Deutschland ständigen Tartarenmeldungen, die von den von Edward Snowden mitgenommenen Dokumenten aus dem Fundus der National Security Agency (NSA) zehren und den US-amerikanischen Geheimdienst beschuldigen, alles über jeden im Internet zu speichern. Gefühlt lebt der SPIEGEL seit einem halben Jahr von dem Erregungsangebot, sich über angeblich schrankenlose Überwachung und Ausforschung durch die NSA zu empören. Und digitale Wutbürger steigern sich jeden Montag in serielle Wutausbrüche hinein, wenn sie wieder etwas mit „Überwachung“, „NSA“ oder „Vorratsdatenspeicherung“ in der Überschrift lesen.

Selbst wenn alles wahr wäre, was der SPIEGEL aufgrund der von Edward Snowden gestohlenen Dokumente mutmaßt, wäre die Ausforschung folgenlos, weil so erlangte Erkenntnisse vom Staat _hierzulande_ nicht zur Begründung strafprozessualer Eingriffsmaßnahmen verwendet werden könnten. Mithin geht es bei der Furcht vor „Vorratsdatenspeicherung“, Überwachung und Ausforschung um ein konsequenzenloses Gefühl. Und die angebliche Überwachung wird nur deshalb allein am Beispiel der angeblichen Ausforschung durch die US-amerikanische NSA skandalisiert, weil man über alle anderen möglichen Überwacher und Ausforscher am Telefon oder im Internet in Russland, China oder wo auch immer nur halt noch weniger weiß. Wer über genug Selbstüberschätzung verfügt, kann sich seine Überwachung durch die Geheimdienste aller ca. 200 Staaten auf der Welt zusammenphantasieren. Vielleicht telefoniert er mit seiner Liebsten, mehrere hundert Geheimdienste hören mit, was er Wichtiges zu sagen hat und spekulieren darüber, was er wohl meint, wenn er sie bittet, ihm aus dem Supermarkt dies und jenes von seinem Einkaufszettel mitzubringen.

Statt sich das Gedränge vieler Abhörer und Überwacher vorzustellen, könnte man auch über die These nachdenken, dass der sich überwacht Fühlende vielleicht auch nur unter Selbstüberschätzung und Verfolgungswahn leidet. Und sich in eine Hysterie hineinsteigert, in der er am Ende von der ganzen Welt nur noch den Lauscher an der Wand sieht. Bzw. halt eben nicht sieht oder hört, denn Überwachung ist ja eine symptomlose Krankheit, die von bloßer Einbildung schwer zu unterscheiden ist. Wobei man sich berechtigterweise fragen könnte, wieso eigentlich die ganzen Überwacher, Profiler und Ausforscher sich die Mühe machen sollen, einen Otto Normaltelefonierer oder Normalsurfer auszuforschen. Der wahrscheinlich für die realen Überwachungswilligen ziemlich uninteressant ist, solange er nicht gerade an einer Bombe bastelt oder plant, mit einem entführten Flugzeug ein Hochhaus abzufackeln. Damit gleicht die zuverlässig vom SPIEGEL jeden Montag geschürte Hysterie über die NSA-Ausforschung dem Terror einer Spatzen- oder Eichhörnchenpopulation, die sich über den in den Wald gegangenen Großwildjäger erregt, der aufgebrochen ist, den bösartig gewordenen lokalen Tiger zu erlegen. Die, die sich am lautesten erregen, haben vermutlich am wenigsten zu befürchten.

Nur gut, dass der SPIEGEL einen Dreh gefunden hat, auch die lange Zeit nicht empörungsbereite Bundeskanzlerin zur Betroffenen und vom US-Präsidenten menschlich schwer Enttäuschten zu machen. Sie nutzt aus Bequemlichkeit ein altes unsicheres Handy und könnte darauf von allen möglichen Leuten oder Diensten abgehört worden sein. Schrecklich. Ich bin auch immer deprimiert, dass jeder Beliebige mitlesen kann, wenn ich eine Postkarte verschicke. Die Welt ist schlecht. Man kann nicht einmal mehr sein Auto oder seine Wohnungstüre offen stehen lassen, wenn man weggeht.

Das Ergebnis der Bundestagswahlen hat gezeigt, dass die Bevölkerungsmehrheit sich nicht für das Thema Vorratsdatenspeicherung interessiert und auch nicht nervös auf Stichworte wie „Ausforschung“ oder „Überwachung“ reagiert. Weil sie damit beschäftigt ist, alles Mögliche auf Facebook hochzuladen und ihre dortigen Freunde über ihr Leben auf dem Laufenden zu halten. Weshalb bei der Bundestagswahl auch die Gralshüter der Internetkompetenz, die Piratenpartei, nicht genug Wähler interessieren konnte um über die 5 % Schwelle zu kommen und im Bundestag mit eigenen Abgeordneten vertreten zu sein. Der Bundestag wird auch in der 18. Legislaturperiode ohne die Beiträge der Piraten auskommen müssen. Sie haben im Wahlkampf aus Sicht der Wähler eben nicht genug Relevantes gesagt. Der breiten Mehrheit ist der Alarmismus der Vorratsdatenspeicherungsphobiker zu recht gleichgültig.

was heißt hier Rechtsstaat?

06 Dienstag Aug 2013

Posted by pnitsch1960 in Uncategorized

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Überwachung, Datenschutz, NSA, Radikalenerlass

In der derzeitigen Vor-Bundestagswahl-Hysterie liest man von digital naiver Seite zuweilen, dass ein Staat, in dem man von der NSA überwacht und abgehört werden kann, kein Rechtsstaat sei. Der Gedanke ist in so vielfältiger Hinsicht falsch, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Und er führt zu so merkwürdigen Ergebnissen wie der Flucht des Whistleblowers Snowden vor dem bösen Friedensnobelpreisträger Obama zu dem überzeugenden Demokraten Putin und seiner „lupenreinen“ Demokratie. Also jetzt mal ernsthaft.

Ein Rechtsstaat heißt nicht, dass man nicht abgehört werden kann, hinsichtlich Telefon, Wohnung oder digitaler Kommunikation. Es heißt nur, dass das der deutsche Staat bei Inländern nicht macht, ohne vorher einen Richter gefragt zu haben (bei Strafverfolgung) oder bei Gefahrenabwehr durch Geheimdienste ein den Richter ersetzendes Kontrollgremium des Parlaments unterrichtet zu haben. Ob einen Dritte abhören, sei es der Nachbar oder die NSA aus Übersee, das weiß man eigentlich nie. Und wer sich in den Kopf gesetzt hat, dass er abgehört wird, der kann sich eigentlich nie davon überzeugen, dass er _nicht_ abgehört wird. Denn vielleicht hören einen ja die Chinesen oder die Neuseeländer ab, wenn es schon die Justiz, der Nachbar oder die NSA nicht sind.

Was einen Rechtsstaat von einem Unrechtsstaat unterscheidet ist vielmehr, dass es für negative reale Folgen für den Betroffenen von Seiten des Staates richterlicher Anordnung bedarf. Und der Richter die Sanktion nicht wegen der bloßen Gesinnung des Betroffenen, sondern als Folge für dessen Handeln ausspricht. Wenn beispielsweise in Russland ein Herr Chodorkowski mit wechselnden Begründungen verurteilt und in Haft gehalten wird, sei es, dass er mit seiner Firma Öl verkauft und dafür keine Steuern bezahlt haben soll, sei es, dass er seiner Firma das Öl gestohlen haben soll, dann bekommt man den Eindruck, dass die Begründungen für die Inhaftierung willkürlich sind. Und Chodorkowki letztlich in Haft ist, weil er den Mächtigen nicht gefällt, nicht weil er etwas Strafwürdiges getan hätte. Und man damit daran zweifeln kann, dass Russland ein Rechtsstaat ist.

Wer sich in Deutschland vor der Überwachung vor der NSA fürchtet, muss möglicherweise damit leben, dass der deutsche Staat nicht verhindern kann, dass die NSA auf amerikanischem Boden bei US-Firmen wie Google und Facebook Daten abgreift. Er muss aber nicht fürchten, dass die NSA ihm reale Schwierigkeiten machen kann, denn dafür müßte sie sich an die deutsche Polizei und Justiz wenden, die dann überprüfen würden, ob es dafür nach deutschen Maßstäben Anlass gibt. In zivilisierten Ländern wie Westeuropa ersuchen die USA um Rechtshilfe und bekämpfen das Problem nicht in direkter Weise durch Drohnen und Raketen, wie sie das in Ländern tun, in denen mit der jeweiligen Regierung nicht zu reden ist oder sie gar nicht erst ernsthaft existiert.

Die in Deutschland gepflegte Überwachungsfurcht gründet auf deutschen geschichtlichen Erfahrungen wie der mit der NS-Diktatur. Die sich auch nicht auf Überwachung beschränkte, sondern auf sie Repressionsmaßnahmen folgen ließ. Auch in Zeiten der Stasi in der DDR hatte die Überwachung negative Folgen, war man zu staatskritisch eingestellt, konnte das Kind nicht studieren, gab es in welcher Form auch Ärger. In Westdeutschland entzündete sich die Überwachungsfurcht nach dem Krieg am in Süddeutschland betriebenen „Radikalenerlass“, der bei der Einstellung von Beamten verhindern wollte, dass Staatsfeinde verbeamtet werden. Weshalb z.B. Studenten bei ihrer politischen Betätigung vom Verfassungsschutz beobachtet wurden und ihre Gesinnung ihnen später bei der Frage, ob sie als Lehrer verbeamtet werden sollten, als Einstellungshindernis entgegengehalten wurde. Der Radikalenerlass hat dafür gesorgt, dass eine Reihe von Mitarbeitern der Bundespost (wie Funktionäre einer kommunistischen Partei) nie verbeamtet worden und ihr Lebtag lang Angestellte geblieben sind. Und zugleich hat der Radikalenerlass wohl mehr geschadet als genutzt, da er einer ganzen Generation beigebracht hat, dass man bei der Wahrnehmung seiner Freiheit befürchten muss, vom Staat überwacht zu werden, der sich das merkt und einen später nicht mehr als Beamten einstellt.

Diese geschaffene Überwachungsfurcht hat sich später im Widerstand gegen die in den 1970er Jahren geplante Volkszählung niedergeschlagen und letztlich zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts geführt, in dem es die informationelle Selbstbestimmung und damit den Datenschutz erfunden und ins Grundgesetz hineingedeutet hat. Und seitdem haben Furchtsame die Fahne, unter der sie sich gegen den Staat wenden und behaupten, sie könnten sich ihrer Freiheit nicht erfreuen, wenn sie damit rechnen müßten, dass sich jemand ihre Kommunikation und ihr Handeln merkt. Und beklagen sich, dass sie die Furcht vor Überwachung als „Schere im Kopf“ bereits davon abhalte, ihre Freiheit wahrzunehmen, weil sie die Sorge vor möglichen Folgen schon völlig vergälle. Offenbar trauen sich die Datenschutzsensiblen nur bei garantierter Anonymität, von ihrer Freiheit Gebrauch zu machen.

Der Datenschutz bezieht seinen Gründungsmythos aus der Situation des Buches „1984“ von George Orwell. In dem ein harmloser Bürger Winston von einem totalitären Scheusal von Staat schrankenlos überwacht wird und keinerlei Privatsphäre hat. Die Datenschutzfreunde verharren in dieser depressiven Ohnmachtsphantasie und nehmen nicht zur Kenntnis, dass die Welt bunter ist als sie in der 1948 geschriebenen Utopie dargestellt wird, die auf der Situation der stalinistischen Diktatur in Russland aufbaut und sie durch Umdrehen der Jahreszahl in eine unbestimmte Zukunft 1984 verlagert. Zum einen könnte der Staat kein totalitäres Scheusal sein, sondern z.B. auch eine rechtsstaatliche Demokratie. Zum zweiten könnte das überwachte Unschuldslamm auch kein harmloser Bürger sein, sondern z.B. ein ukrainischer Einwanderer, der in Boston ein Bombenattentat plant um die unverständigen Anderen vom richtigen Glauben zu überzeugen. Und zum Dritten ist die Überwachung von Unverdächtigen unglaublich aufwendig und langweilig, weil es nun mal leider so viele von ihnen gibt. Auch das Buch „1984“ behauptet ja nicht, dass hinter den Überwachungskameras der Große Bruder ständig wacht. Allein schon deshalb, weil das für jeden Überwacher zu langweilig wäre und bei Herrn Winston ja auch nichts Spannendes geschieht.

Mithin geht es bei Überwachungsfurcht und Datenschutz vor allem um ein Gefühl. Gefühltes Recht. Und dies setzt sich fort in dem Vorwurf an den deutschen Staat, nichts gegen vermutete Überwachung durch die NSA oder wen auch immer zu tun. Von einer Vaterfigur (dem Staat) wird verlangt, dass er die Unbilden eines negativen Gefühls (nämlich der Überwachungsfurcht) bekämpft und den USA abgewöhnt, solche Dinge zu tun. Mithin soll der deutsche Staat den USA beibringen, sich nicht vor Terroristen zu fürchten, sondern vor staatlicher Überwachung wie sie in „1984“ beschrieben wird. Das wird nicht ganz einfach, Leuten die eigenen Werte zu verkaufen, die das, was sie tun, aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen und Wertungen tun, die sie sich z.B. aufgrund der Terroranschläge im September 2001 auf das World Trade Center in New York zugelegt haben. Häufig folgt dann die nächste Forderung: na, dann sagt doch mal, wie viele Terroranschläge hat denn die NSA durch ihre Überwachung verhindert?

Das fragt nach hypothetischen Kausalverläufen, die immer schwierig zu diskutieren sind. Wenn ein Selbstmordattentäter in seinem arabischen Land zur US-Botschaft kommt und sie aufgrund von Warnhinweisen geschlossen und verriegelt findet, dann findet er es vielleicht sinnlos, sich vor der Barrikade folgenlos in die Luft zu sprengen. Und geht vielleicht wieder nach Hause um in der nächsten Woche wieder zu kommen. Oder er geht ein Viertel weiter zu einer anderen europäischen nicht geschlossenen Botschaft und sprengt sich dort in die Luft, wo er leichter rein kommt und mehr Schaden anrichten kann. Vielleicht geht er aber auch ja nach Hause und gibt sein Vorhaben auf. Oder er hätte in Wahrheit nie auf den Auslöser gedrückt und hat sich immer nur an seinen radikalen Reden erfreut ohne jemals auch zur terroristischen Tat zu schreiten. Ob das Attentat endgültig verhindert worden ist oder nur an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit stattfindet – wer kann das wissen?

Aber wer kann andererseits verantworten, von einem geplanten Attentat zu erfahren und nichts zu tun? Was sagt man Opfern von Attentaten, wenn sie erfahren, dass man als Staat von dem Anschlag vorher erfahren und keine Gegenmaßnahmen veranlasst hat? Werden Gefährder vor ihrem Anschlag aus dem Verkehr gezogen, lässt sich das verhinderte Attentat weder in der polizeilichen Kriminalstatistik noch in der Justizstatistik wiederfinden. Je nach dem Frühstadium, in dem es gestört worden ist, findet sich da möglicherweise gar nichts. Und wenn, vielleicht nur unerlaubter Waffenbesitz oder irgendetwas Harmloses im Vergleich zu Mord in x Fällen oder Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion bei Zustandekommen des Anschlags. Und kann man darauf verzichten, präventive Gefahrenabwehr zu betreiben und Gefährder durch Nachrichtendienste abhören zu lassen, wenn man weiß, dass man dadurch nur vielleicht und unter besten Bedingungen etwas verhindern können wird?

Es gibt Leute, die sagen, dass man die Nachrichtendienste dicht machen und strategische Überwachung einstellen sollte. Der Straßenverkehr verlange ebenfalls x.000 Verkehrsopfer im Jahr ohne dass jemand Autofahren verbieten wolle und die über 3.500 Tote der 9/11 Terroranschläge in New York von 2001 seien eben der Preis der Freiheit. Das kann man so werten und die eigenen deutschen Geheimdienste Einschränkungen wie der Unterscheidung zwischen Polizei und Geheimdienst und föderaler Fragmentierung unterwerfen. Sie können dann rechten Terrorismus wie den der drei Täter des Nationalsozialistischen Untergrundes NSU nicht verhindern. Ob sie es ohne die Beschränkungen geschafft hätten, weiß man nicht. Das ist das Üble an hypothetischen Kausalverläufen. Nichts Genaues weiß man nicht.

Wenn man an den USA und ihren sich von den unseren unterscheidenden Maßstäben leidet, dann kann man sich in Wahlkampfzeiten billig an der eigenen Regierung austoben und ihr vorwerfen, dass sie die USA nicht dazu bringen kann, Ausländer wie z.B. deutsche Staatsbürger gefälligst nicht auszuspähen. Sollte die Opposition ans Ruder kommen und das Problem erben, wird sie feststellen, dass das nicht ganz einfach ist. Die deutsche Regierung vermag auch nicht zu verhindern, dass wir Schnupfen bekommen, die Winter zu lange dauern und es im Sommer zu heiß ist. Und würde sie all das tun, was Wütende von ihr fordern, würde sie sich möglicherweise von Hinweisen von US-amerikanischer Seite abschneiden, mit denen Deutschland bisher im Bereich von islamistischem Terrorismus bemerkenswert gut davongekommen ist. Die Ungefährdetheit Deutschlands in diesem Bereich war in der Vergangenheit bemerkenswert gut. Das mag auf Zufall beruhen, auf Desinteresse der Islamisten an Deutschland – oder eben vielleicht auch auf den Aktivitäten der (auch deutschen) Dienste. Nichts Genaues weiß man nicht, kann es vielleicht auch nicht wissen.

Jedenfalls sind Wahlkampfzeiten keine guten Gelegenheiten über derartig ambivalente Zielkonflikte und Rücksichtnahmen zu diskutieren. Und ist es bequemer, sich in Überwachungsfurcht zu empören und über die bösen Amerikaner und die NSA zu barmen, die uns angeblich bis aufs Letzte überwachen.

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